Durchblick im neuen Bildungssystem
Jessicas Muttersprache ist Arabisch. 2013 kam sie mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester nach Deutschland und wurde in eine Integrationsklasse einer Hauptschule eingeschult. Dort blieb sie drei Monate. Sie merkte schnell, dass ihr das Tempo trotz der Sprachbarriere zu langsam war. „Ich habe richtig Gas gegeben, um schnell Deutsch zu lernen und die Schule zu wechseln.“ Mittlerweile übersetzt sie ehrenamtlich Arabisch in ihrer Kirchengemeinde in Gelsenkirchen und hilft so Menschen, die neu nach Deutschland kommen. Ihren Eltern fällt es nicht so leicht, die neue Sprache zu lernen. Um eine ihrer Qualifizierung entsprechende Arbeit zu finden, reichen ihre Deutschkenntnisse noch nicht aus. In Ägypten, wo sie aufwuchs, war vieles anders. Ihre Eltern arbeiteten im Finanzministerium, sie ging auf eine Privatschule und wohnte in einem sehr guten Viertel in Kairo. „Mein Leben bestand zu neunzig Prozent aus Schule und Lernen, die zehn Prozent Freizeit habe ich vor dem Computer verbracht oder mir Keyboardspielen beigebracht.“ Wenn sie Freundinnen treffen wollte, dann ging das meist nur bei Veranstaltungen in ihrer christlichen Gemeinde - oder sie musste gefahren werden. „Kairo ist so groß und anders, da konnte ich nicht einfach alleine durch die Stadt gehen. Hier kann ich mich viel freier bewegen.“
Traumjob: Chirurgin
Jessica besuchte die Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck, in der es ihr gut gefiel. „Schon zweimal habe ich ein Praktikum im Krankenhaus gemacht und nie durfte ich mit in den OP. Es ist total tragisch“, erzählt Jessica und lacht. Sie möchte Medizin studieren und Ärztin werden. Das war nicht immer so. Anfangs war es eher der Wunsch ihrer Eltern. Aber die wenigen Male, die sie im Biologie-Unterricht Anatomie hatte, machten ihr so viel Spaß, dass es mittlerweile keine Alternative mehr für sie gibt: Sie möchte Chirurgin werden. Deshalb hat sie neben dem verpflichtenden auch ein freiwilliges Praktikum in den Sommerferien absolviert. „Anatomie und Medizin finde ich sehr spannend“, erzählt Jessica, „die Ferien will ich unbedingt dazu nutzen, einen Einblick in den Berufsalltag in einem Krankenhaus zu bekommen.“ Jessica ist zielstrebig und weiß, was sie will. Wie aber der Weg ins Studium genau funktioniert, wie man sich um einen Studienplatz bewirbt, wie der Alltag dann aussieht und ob sie das alles schaffen kann, das war ihr lange nicht klar.
An der Zukunft feilen
Ein Lehrer hatte sie für das NRW-Talentscouting vorgeschlagen. „Das Tolle ist, dass ich mit meinem Talentscout jemanden habe, die wirklich Plan hat“, sagt Jessica begeistert, „Meine Eltern unterstützen mich, wo es geht, aber sie kennen sich mit dem Bildungssystem in Deutschland einfach nicht aus, mit ihnen kann ich nicht darüber sprechen.“ Jessica ist RuhrTalent, ihr Talentscout hat sie bei der Bewerbung um das Schülerstipendium unterstützt. „Ohne meinen Talentscout Pia Boldt von der Westfälischen Hochschule hätte ich nie erfahren, was ich für Möglichkeiten habe.“ In regelmäßigen Gesprächen feilte Jessica mit ihrem Talentscout an ihrer Zukunft. Ihr Ziel war es, einen Studienplatz in Medizin zu bekommen und vielleicht sogar ein Auslandssemester in England zu machen. Sie liebt die Sprache, schreibt sogar in einem Schulprojekt ihren ersten Roman auf Englisch. „Wie mein persönlicher Weg sein kann, das bespreche ich mit meinem Talentscout. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass ich nicht alleine da stehe mit all meinen Fragen.“
Jessica hat 2019 ihr Abitur mit einem Schnitt von 1,0 bestanden. Sie hat sich erfolgreich um ein Stipendium bei der Studienstiftung des deutschen Volkes beworben und studiert mittlerweile Medizin an der Ruhr-Universität Bochum.
Stand: August 2020