Die Redewendung „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ provoziert Kim-Laura Schäfer. Sie selbst ist die erste in ihrer Familie, die ihr Abitur gemacht und studiert hat und kennt die Hürden, die Bildungsaufsteiger*innen begegnen aus eigener Erfahrung. Als sie hörte, dass ihre Schule mit dem NRW-Talentscouting kooperieren wird, war sie sofort dabei.
Ein Interview mit Kim-Kaura Schäfer, Lehrerin und Koordinatorin für Talentscouting am Adolf-Kolping-Berufskolleg in Kerpen-Horrem im Rhein-Erft-Kreis
Was ist das Besondere am Adolf-Kolping-Berufskolleg?
Das Adolf-Kolping-Berufskolleg hat den Schwerpunkt Technik und Medien. Unsere 1.700 Schüler*innen haben bei uns, wie auf allen anderen Berufskollegs, die Möglichkeit, unterschiedliche Bildungsabschlüsse bis zum höchsten Abschluss, dem Vollabitur, abzulegen. Ich höre immer wieder das Gerücht, dass das Abitur an einem Berufskolleg minderwertiger sei als an einer Gesamtschule oder einem Gymnasium. Das stimmt nicht, es ermöglicht den gleichen Zugang zu einem Studium an einer Hochschule und eine ebenso freie Wahl der Fachrichtung – natürlich immer in Abhängigkeit vom Numerus Clausus. Die Stadt Kerpen ist räumlich im Kreis Bergheim zwischen Köln und dem Hambacher Forst gelegen, wodurch wir viele Auszubildende vom WDR, von RWE und aus weiteren regionalen Kooperationsbetrieben bei uns an der Schule haben. Die Sozialstruktur unserer Region ist durch zugewanderte Mitbürger*innen geprägt. Einige Schüler*innen an unserer Schule stehen vor besonderen Herausforderungen und brauchen stärkere Orientierung und Unterstützung. Wir sehen es als unseren Auftrag, allen Schüler*innen eine umfassende berufliche, gesellschaftliche und persönliche Handlungskompetenz zu vermitteln und auf ein lebensbegleitendes Lernen vorzubereiten.
Im NRW-Talentscouting kooperieren bereits 17 Partnerhochschulen mit 375 weiterführenden Schulen für mehr Bildungsgerechtigkeit in ihren Regionen. Das Adolf-Kolping-Berufskolleg arbeitet mit dem Kölner Talentscouting zusammen. Wie läuft das Talentscouting an Ihrer Schule?
Das ist super unkompliziert. Zum einen ist unser Talentscout Herr Jares von der TH Köln sehr, sehr organisiert. Er hat viel Erfahrung und weiß, wo Herausforderungen auftreten können und wie man ein Kollegium für die Talentförderung begeistert. Ich begleite das Programm an unserer Schule mit Unterstützung meines Kollegen, Mehmet Ermayasi. Wir können nicht alle 1.700 Schüler*innen unserer Schule persönlich kennen, umso wichtiger ist es, dass die Klassenlehrer*innen Talente vorschlagen. Wenn die Schüler*innen mitbekommen, dass unser Talentscout jeden ersten Dienstag im Monat bei uns vor Ort ist, muss ich eigentlich nur einen Raum für die Einzelgespräche blocken lassen und die Liste, auf der sich Talente für Termine eintragen können, anfertigen. Die Liste füllt sich wie von selbst und der Talentscouting-Tag läuft wie von alleine. Wir sind sehr dankbar, dass wir die Möglichkeit an unserer Schule haben und würden uns wünschen, dass uns unser Talentscout noch öfter besuchen könnte. Ich muss gestehen, letztes Jahr fand ich es sehr schade, Schüler*innen, die vorgeschlagen wurden, sagen zu müssen: „Wir sind jetzt leider schon voll. Wir schreiben euch auf die Liste für nächstes Schuljahr.“ Herr Jares scoutet nicht nur an unserer Schule, daher ist das sehr verständlich. Aber es wäre natürlich schön, wenn noch mehr Talente vom Programm profitieren könnten. Noch mehr Kapazitäten für das NRW-Talentscouting wären super.
Wie kommt das Talentscouting bei Ihren Schüler*innen an?
Bei den Talenten, mit denen ich gesprochen habe, kommt das Talentscouting sehr gut an. Manche sind anfangs sehr schüchtern und haben Hemmungen, sich auf fremde Personen einzulassen. Unser Talentscout hat aber eine tolle Art und die Schüler*innen fassen schnell vertrauen zu ihm. Herr Jares besitzt eine große Fachexpertise zu Unterstützungsmöglichkeiten, Berufsausbildungen oder Studienzugängen und -angeboten, die wir als Kollegium und die Schüler*innen sehr schätzen. Er hat gute Kontakte und ein breites Netzwerk, aus dem er Informationen für Talente zugänglich macht. Herr Jares lässt den Jugendlichen die nötige Freiheit herauszufinden, was sie wollen und was für sie richtig ist und entscheidet nicht für sie. Mit einem Talentscout sprechen manche Schüler*innen viel offener und auch über private Ängste und Sorgen. Gegenüber uns Lehrer*innen sind sie in solchen Bereichen eventuell zurückhaltender. Ich denke, dass hängt mit dem Aspekt der Notenvergabe zusammen.
Bereits während Ihres Studiums haben Sie sich intensiv mit Bildungsgerechtigkeit beschäftigt. Die bekannte Redewendung „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ finden Sie schrecklich.
Jeder Mensch ist ein Individuum und ich bin der Überzeugung, jede Schülerin und jeder Schüler kann ihre oder seine Ziele erreichen. Unabhängig von der Herkunft haben alle Kinder und Jugendlichen ein Anrecht auf Bildung und jedes Kind sollte die Chance, die finanziellen Ressourcen und die nötigen Personen wie Lehrer*innen, Betreuer*innen oder Talentscouts erhalten, die sich bemühen, gemeinsam mit ihnen, ihren eigenen passenden Weg zu finden. Ich glaube, dass Talente allein nicht für eine erfolgreiche Zukunft entscheidend sind, sondern viel Willenskraft dazu gehört.
Wie kann Schule chancenbenachteiligte Kinder und Jugendliche noch besser unterstützen?
Wir setzen bereits einige Maßnahmen im Unterricht um wie z. B. Bewerbungstrainings im Deutschunterricht. Ich finde das Allerwichtigste ist jedoch, dass man seine Schüler*innen kennt und weiß, was die Einzelnen umtreibt und wofür sie sich interessieren. Ich selbst habe vor Kurzem die Erfahrung gemacht, dass ich bei einem Schüler, den ich bereits seit einigen Monaten im Unterricht hatte, erkannte, dass er in einem Bereich wirklich überdurchschnittlich gut ist. Das hat mich zum Grübeln gebracht und ich habe mir vorgeworfen, dass ich das viel früher hätte erkennen müssen. Die Frage, die sich stellt, ist leider: „Wie denn?!“ Die meisten Schüler*innen sehen wir nur wenige Stunden in der Woche. Für die Zukunft würde ich mir mehr Klassenlehrerstunden, mehr soziale Lernstunden und mehr Zeit für Beziehungsarbeit wünschen.
Was möchten Sie allen Schüler*innen für die Zukunft mitgeben?
Ich wünsche mir, dass sich Schüler*innen nie von jemanden sagen lassen „Das geht nicht“ und dass sie keine Angst davor haben, Unterstützung anzunehmen und danach zu fragen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Schüler*innen, oft sind es Jungs, zu stolz sind um Hilfe anzunehmen. Bei mir persönlich war es so, dass ich als es um meine Studienfinanzierung ging, gedacht habe: „Nee, du kannst doch kein BAföG beantragen, dann erhältst du Geld, dass du an den Staat zurückzahlen musst.“ Letztlich habe ich von dieser Förderung sehr profitiert. Als Schule versuchen wir jedem das Beste zu ermöglichen und dahingehend zu motivieren, den Beruf zu ergreifen, den sie oder er sich wünscht und der zu der Person passt.